Lange galten die „Reichsbürger“ als verschrobene Sonderlinge, die wirre Schreiben an die Behörden richten. „Nervig, aber ungefährlich“, sagten bis vor wenigen Jahren auch die Sicherheitsbehörden. Das war schon damals falsch. Denn die Fantasie, das Deutsche Reich existiere fort, und es brauche nur Leute, die dessen Existenz sichtbar machten sowie danach handelten, griff spätestens nach der Finanzkrise 2008 um sich. Plötzlich nahm die Zahl derer zu, die unter Verweis auf obskure juristische Darlegungen behaupteten, weder Steuern und Gebühren zahlen noch einen gültigen Ausweis besitzen zu müssen. Jenseits betroffener Mitarbeiter*innen von Behörden wurde das so lange als Skurrilität abgetan, bis die ersten Reichsbürger zur Waffe griffen und auf Gerichtsvollzieher und Polizisten schossen. Zuvor schon hatte die Zahl der Fälle von Bedrohungen von Richter*innen und Amtsträger*innen zugenommen.
Inzwischen sind nicht wenige Elemente der „Reichsbürger“-Ideologie in anderen Szenen und Milieus anzutreffen: Ob bei Querdenker*innen, Esoteriker*innen oder Freiwirtschaftler*innen: Nicht nur in der extremen Rechten erfreut sich die Idee, die Bundesrepublik sei eigentlich ein Operettenstaat, großer Resonanz. Die von den Medien gern in Szene gesetzten exzentrischen Auftritte des selbsternannten „König von Deutschland“, Peter Fitzek, im wahren Leben eigentlich Koch, können nicht über die Radikalisierung des Milieus hinwegtäuschen. Getrieben von den vielfältigen Krisen der Zeit, drängt es Akteur*innen der „Reichsbürger“-Szene zur Tat. Man bewaffnet sich, schickt Sendschreiben zur Vorbereitung auf den Tag X an die Anhängerschaft und propagiert antistaatliche Autarkie und angebliche Souveränität.
Griffige Geschichten über den „Putsch-Prinzen“ sind wenig geeignet zu erfassen, worum es geht: Seit Jahren gibt es in der extremen Rechten und den ihr verbundenen Milieus den Zusammenfall von Aufbruch und Endzeitstimmung in einem: Man ist der Auffassung, im Kern habe das politische System der Bundesrepublik ausgespielt. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis es zusammenbreche. Um diesen Zusammenbruch zu befördern, organisiert man sich und bereitet sich vor: im Zweifel nicht nur mit dem Horten von Erbsensuppe in Dosen, sondern mit Waffen und Mordplänen. Die Gefahr geht nicht von selbsternannten Kaisern in schlechtsitzenden Anzügen aus, die in ihren Wohnzimmern ihre Machtfantasien zum Besten geben. Die Gefahr liegt in der Anhängerschaft und der Zustimmungsbereitschaft bis weit in die sog. Mitte der Gesellschaft hinein – wenn nämlich Soldat*innen und Polizist*innen, Vertreter*innen des staatlichen Gewaltmonopols, sich potentiell gewaltsam gegen diesen Staat und das Prinzip Demokratie wenden, politische Feinde markieren und Listen mit Menschen anlegen, die zu töten seien.
Zu lange hat die Öffentlichkeit geglaubt, „Reichsbürgern“ ginge es um ein Lego-Lummerland, mit einem Karneval-Kaiser an der Spitze. Spätestens seit den Festnahmen von Anhänger*innen der ‚Reichsbürger“ unter Terrorismusverdacht kann jede*r wissen: „Reichsbürgern“ jeder Spielart geht es um die Macht und deren Durchsetzung, im Zweifel mit Gewalt gegen die Demokratie und ihre Repräsentant*innen.