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Ostdeutschland nach der Bundestagswahl: Die offene Gesellschaft offensiv verteidigen

DATUM

Aus den Wahlen zum 21. Deutschen Bundestag am 23. Februar 2025 ist die rechtsextreme AfD als zweistärkste Kraft hervorgegangen. In den Ostdeutschen Bundesländern wurde sie sogar mit jeweils deutlich über 30 Prozent stärkste Kraft. Vor dem Hintergrund dieser Erfolgsgeschichte hat unser Geschäftsführer erste Befunde und Empfehlungen zur gesellschaftspolitischen Entwicklung in Ostdeutschland formuliert.

Was uns bedroht.

Die Normalisierung des Rechtsextremismus ist abgeschlossen.

Die Wahlergebnisse für Ostdeutschland haben erneut deutlich gemacht: Der Normalisierungsprozess des Rechtsextremismus ist abgeschlossen. Derzeit, so scheint es, gibt es kaum noch eine Mehrheit für eine liberale und offene Gesellschaft.

Rassismus bedroht den Zusammenhalt.

Wählermobilisierend war vor allem ein autoritärer und rassistische Diskurs über Asyl und Migration. Damit einher geht eine zunehmend feindselige Stimmung gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte. Tagtäglich sind sie Bedrohungen und Übergriffen ausgesetzt. Der gesellschaftliche Zusammenhalt über Herkunfts- und Milieugrenzen hinweg erodiert.

Akteure einer kritischen Zivilgesellschaft werden marginalisiert.

Rechtsextreme Diskurs- und Wahlerfolge verunsichern Akteure einer demokratischen Zivilgesellschaft. Ihre Strukturen und ihre Finanzierung werden infrage gestellt. Drohungen und Hate Speech führen zur Einschüchterung von jenen, die sich für Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt engagieren.

Was wir brauchen.

Betroffene schützen und Solidarität organisieren.

(Potentiell) Betroffene rassistischer und rechter Gewalt brauchen Unterstützung und Solidarität. Ihre Bedarfe müssen wahrgenommen, ihr Agieren muss gestärkt werden. Vor allem aber braucht es ein Ende der Übernahme rechtsextremer Ressentiments und Feindbilder im gesellschaftlichen Diskurs. Es braucht ein deutliches Signal aus der demokratischen Politik an Menschen mit Migrationsgeschichte und Engagierte: Ihr seid nicht allein. Wir stehen zusammen und fördern den Zusammenhalt vor Ort.

Zivilgesellschaftliche Akteure stärken und demokratische Infrastruktur gewährleisten.

Engagierte vor Ort brauchen Unterstützung. Sie brauchen kontinuierliche Beratung und Begleitung. Ihr professionelles Agieren ist dabei auch auf finanzielle Ressourcen angewiesen. Die rechtsextremen Wahlerfolge und die Debatten um Einsparungen beim Bundes- und bei den Landeshaushalten gefährden zivilgesellschaftliche Strukturen, insbesondere in ländlichen Räumen Ostdeutschlands. Investitionen in die Zivilgesellschaft aber sind Investitionen in den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie. Nur mit auskömmlich finanzierten Strukturen des demokratischen Engagements vor Ort lassen sich die Krisen der Gegenwart überwinden.

Ostdeutsche Demokratiegeschichten sichtbar machen

Die ostdeutsche Geschichte der letzten dreißig Jahre, so scheint es, ist von rechtsextremen Erfolgen und einer Beständigkeit autoritärer Gesellschaftsvorstellungen geprägt. Diese Perspektive jedoch ist trügerisch und entmutig im Engagement für eine demokratische Alltagskultur. Es braucht ostdeutsche Engagementgeschichten und deren Sichtbarkeit – auch und gerade zur Korrektur der Omnipräsenz der AfD und ihrer Suggestion, sie vertrete „das Volk“. Den Siegesnarrativen der AfD in Ostdeutschland müssen ostdeutsche Erfahrungen des Gelingens der Demokratie offensiv entgegengestellt werden.

Ratschlag für die liberale Demokratie

Die aktuellen Krisen und der abgeschlossene Normalisierungsprozess des Rechtsextremismus erfordern neue Antworten zur Verteidigung der offenen Gesellschaft und den Erhalt einer liberalen Demokratie (nicht nur) in Ostdeutschland. Sie zeigen zugleich die Grenzen für die engagierte Zivilgesellschaft in ihrem Bestreben, die Dominanz autoritärer und rassistischer Narrative zu überwinden. Zivilgesellschaftliche Akteure aus Ost- und Westdeutschland sind aufgefordert, bisherige Ansätze in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten kritisch zu reflektieren und neue Antworten für die Stärkung der Demokratie zu finden. Dabei müssen auch Politik und Verwaltung in die Pflicht genommen werden.

Pascal Begrich