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In der Normalisierungsfalle

DATUM

Zu den jüngsten Umfrage-Hochs und Wahlerfolgen der AfD

Die AfD ist (nicht nur) in Ostdeutschland im Aufwind. Immer neue Umfragen sehen sie mittlerweile bundesweit bei 20 Prozent und in den ostdeutschen Bundesländern bei bis zu 30 Prozent. Sowohl die Partei als auch die aufgeregten Debatten in den Sozialen Medien halten selbst einen Sieg bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im kommenden Jahr für möglich. Tatsächlich konnte die AfD bereits jetzt konkrete Erfolge verbuchen. Die Wahl Robert Sesselmanns zum Landrat in Sonneberg (Thüringen) und Hannes Loths zum Bürgermeister in Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt) stattet erstmals Vertreter der AfD mit direkter exekutiver Macht aus. Dies ist ein weiterer Schritt der Normalisierung der rechtsextremen Partei im politischen Betrieb – wenn auch zunächst nur in den Regionen Ostdeutschlands.

In ihrer strategischen Kommunikation wird die AfD alles daransetzen, aus den Ergebnissen von Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz mehr zu machen, als es ist. Der symbolische Wert des Erfolgs ist für die Partei mindestens ebenso wichtig, wie der Fakt der erfolgreichen Wahl. Aus Sicht der AfD stellen die beiden Wahlen den ersten Stein in einem blauen Domino dar, welches jetzt sukzessive in den Regionen in denen dieses Jahr noch Stichwahlen mit AfD Beteiligung anstehen, in Gang kommen soll. Zwar ist man sich im extrem rechten Vorfeld der AfD sicher, dass Sesselmann seine politische Agenda nicht eins zu eins wird umsetzen können, und verweist dabei auf vermeintliche oder tatsächliche Blockadehaltungen innerhalb der Verwaltung gegenüber rechten politischen Akteuren. Was für die extreme Rechte jedoch zählt, ist das Signal des Erfolgs gerade im Vorfeld der ostdeutschen Landtagswahlen 2024 in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Was lange als Schwäche der AfD galt, nämlich das ihr die Verankerung in den Strukturen des vorpolitischen Raumes in den Kommunen fehlt, kann sie nun unter Umständen als Stärke einer Nicht-Zugehörigkeit zum politischen Establishment ausspielen. Dabei kommt der Partei zu Gute, dass die Fähigkeit der Zivilgesellschaft, einen Cordon Sanitaire gegen die Hegemoniebestrebungen der extremen Rechten aufzubauen, in Ostdeutschland mit dem Aufstieg der AfD seit 2016 deutlich geschwächt wurde.

Die Schwäche demokratischer Parteien

Die in Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz exemplarisch zu Tage tretende Mobilisierungsschwäche anderer Parteien in kleinstädtischen Sozialräumen bei ostdeutschen Kommunalwahlen ist ein, seit langem bekanntes Phänomen. Den Parteien fehlt es nicht nur an Mitgliedern, es fehlt ebenso an Organisationsstruktur und Personen, die für Amts- und Mandatspositionen in Frage kommen und auch kandidieren. Oftmals haben die Parteien weder hinreichend Interesse, noch Ressourcen und politische Strategien für den ländlichen Raum. Dass an deren Stelle vielerorts Wählervereinigungen der Freiwilligen Feuerwehr sowie der Schützen- oder Heimatbünde getreten sind, hat den Rückzug der demokratischen Parteien aus den Regionen begünstigt. Die AfD vermag hier so von der – auch zeitgeschichtlich bedingten – Strukturschwäche anderer Parteien in Ostdeutschland zu profitieren.

Loth betonte im Wahlkampf, es gehe vor Ort nicht um Parteipolitik, sondern um Sacharbeit für die Interessen der Menschen. Diese beabsichtigte Entpolitisierung des Politischen im kommunalen Raum steht nur scheinbar im Widerspruch zur Strategie des AfD-Landratskandidaten Sesselmann, der in seinem Wahlkampf vor Ort auf Themen ohne expliziten Bezug zur Kommunalpolitik setzte. In beiden Fällen wählten die Kandidaten eine jeweils zu ihnen und ihrer Situation vor Ort passende Strategie der Beglaubigung ihres Handelns, welche sich von Kontexten distanziert, für die sie haftbar gemacht werden könnten: Landrat Sesselmann kann keinen Einfluss auf die Bundespolitik nehmen. Und Bürgermeister Loth hat bisher noch keine Verantwortung für kommunale Entscheidungen übernehmen müssen, was ihn in die Lage versetzt, vage kommunalpolitische Entwürfe zu präsentieren, an denen er noch nicht gemessen wird. Wird die Kernwählerklientel der AfD über rechtsextreme Inhalte erreicht, so erzielt die AfD ihre Mobilisierungserfolge bei bisherigen Nicht-Wähler*innen vor allem mit einer Anti-Establishment-Rhetorik, die jeweils thematisch an die diskursiven Gegebenheiten der Region angepasst werden kann.

Die Beispiele Loth und Sesselmann haben überdies gezeigt, dass eine kritische Thematisierung des rechtsextremen Kontextes, in dem sich die Kandidatinnen der AfD bewegen, durch die Medien keine negative Wirkung für die Kandidatinnen vor Ort entfaltet. Eine eindeutige extrem rechte Verortung ihrer Person führte neben Ablehnung und Skandalisierung bei den einen, zu Verharmlosung, Entpolitisierung und Solidarisierung bei den anderen. Hier sind sowohl die Folgen der Zustimmungsbereitschaft zu rechtsextremen Einstellungsmustern als auch der weitgehenden Enttabuisierung und Normalisierung entsprechender Diskurse in der Praxis nachzuvollziehen. Für die AfD zahlt sich nun aus, dass die Partei seit ihrem erstmaligen Einzug in die Landtage, vor Ort kontinuierlich politisch Präsenz auf der Straße zeigte sowie eine Wut- und Ressentiment-Bewirtschaftung betreibt, die als Gegenöffentlichkeit die Sichtbarkeit des eigenen Wählermilieus herstellt.

Entpolitisierung kommunaler Ämter

Zur Wahl Sesselmanns betonen die kommunalen Spitzenverbände, in diesem Amt gehe es nicht um die große Politik und ideologisch geprägte Auseinandersetzungen, sondern um pragmatische Entscheidungen. Sesselmann werde als Landrat nicht in erster Linie als Vertreter der AfD agieren, sondern als gewählter kommunaler Spitzenbeamter auf Zeit. Ähnliches ist auch über Hannes Loth zu hören. Solch ein pragmatischer, dezidiert politisch neutraler und damit zugleich inhaltlich entkontextualisierter Umgang mit der AfD und ihren Vertreter*innen scheint aus Sicht handelnder Akteure in kommunalen Institutionen geboten. Er verstärkt in seiner Folgewirkung zugleich jedoch die Normalisierung der AfD in den Augen der Wählerschaft. Amt und Amtsführung werden der AfD gerade im vorpolitischen Raum weitere Legitimität und Autorität verschaffen, wenn es den AfD-Amtsträgern gelingt, ihre zweifelsohne vorhandene politische Agenda nicht allzu propagandistisch zu verfolgen, und das Einvernehmen mit lokalen gesellschaftlichen Interessengruppen zu suchen.

Der Hinweis, dass sich Sesselmann und Loth im Amt an Recht und Gesetz halten werden, hat zudem nur unzureichend im Blick, dass Kommunalpolitik immer mehr ist, als bloßes Verwaltungshandeln. Über die öffentliche Wahrnehmung eines Politikers, auch eines Landrats oder eines Bürgermeisters, entscheiden nicht Gremiensitzungen und Protokollnotizen. Entscheidend ist die Selbstdarstellung politischer Wirksamkeit des Amtsträgers etwa in sozialen Netzwerken oder im direkten Bürgerkontakt. Gelingt es hier, das Bild eines volksnahen und bodenständigen Amtsträgers zu kommunizieren, stärkt dies die politische Normalisierung der AfD.

Der Blick auf die formale Kompetenzbegrenzung kommunaler Ämter blendet jedoch die politische Verfasstheit der AfD und deren Rückwirkung auf die mutmaßliche Amtsführung aus. Die für die öffentliche Wirkung der Amtsführung als selbstverständlich angenommene Entkoppelung zwischen dem Amt und der parteipolitischen Bindung des Amtsinhabers muss sich in den Fällen Sesselmann und Loth erst erweisen. Unabhängig vom konkreten Verwaltungshandeln wird entscheidend sein, was die AfD als Partei über die Ämter als Landrat und Bürgermeister politisch kommuniziert. Dass sie ein Interesse daran hat, sich das Handeln „ihrer“ leitenden Beamten politisch gut zu schreiben, zeigte sich jüngst in einem Interview des MDR mit Stefan Möller, dem Landessprecher der AfD in Thüringen. In diesem Gespräch betonte er, der gewählte Landrat werde die ihm zu Geboten stehenden Handlungsspielräume im Sinne der Parteiprogrammatik nutzen – etwa in der Frage der Unterbringung von Asylbewerber*innen.

Herausforderungen im kommunalen Alltag

In Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz – überall dort, wo die AfD vor Ort stark ist, stellt sich die Frage des Umgangs mit der rechtsextremen Partei, vor allem wenn es schwieriger wird, Mehrheiten gegen sie zu finden. Eine Interaktion mit der AfD wird sich zunehmend weniger vermeiden lassen. Um daraus keine Kooperation werden zu lassen, braucht es die Fähigkeit zur Unterscheidung. Stimmen- und Zählgemeinschaften mit der AfD zu spezifisch lokalen Fragen, wie der Sanierung eines Spielplatzes oder einer Baumpflanzaktion, aus dem Weg gehen zu wollen, ist unter solch kommunalpolitischen Bedingungen nicht realistisch. Stimmen- und Zählgemeinschaften mit der AfD einzugehen, wo inhaltlich deren politische Agenda oder ihre Identitätsthemen berührt sind, verschafft der Partei hingegen Legitimität und Resonanz über ihr eigenes Milieu hinaus. Für die Abwägung, wo dies im Falle eines gemeinsamen Stimmverhaltens zuträfe, muss jeweils der Einzelfall unter Berücksichtigung der kommunalen Gegebenheiten betrachtet werden, ohne aus dem Blick zu verlieren, dass auch inhaltlich nicht beabsichtigte Interaktionen mit der AfD diese stärken können.

Die Normalisierung der AfD im politischen Leben Ostdeutschlands ist kaum mehr rückholbar. Der Grund dafür ist nicht nur bei der AfD selbst zu suchen. Vielmehr profitiert die Partei umfänglich von der Enttabuisierung sowohl von Formen als auch von Inhalten rechtextremer Politik und Lebenswelten seit den 1990er Jahren sowie von der Demokratie- und Institutionenferne vieler Bürger*innen im Osten.

Wahlverläufe wie in Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz zu Gunsten der AfD werden zunehmen. In der Analyse den Fokus auf Ursachen, Voraussetzungen und Erfolgsbedingungen zu legen, bewahrt davor, den vordergründigen Erfolgserzählungen der rechtsextremen Partei auf den Leim zu gehen. Gerade Kommunalwahlen sind Personenwahlen und werden entlang spezifischer örtlicher Konstellationen entschieden, wenn sie nicht von bundespolitischen Diskursen überlagert werden. Hier vor Ort muss alles getan werden, den scheinbaren Automatismus des Erfolgs der AfD zu unterbrechen.