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„Reichsbürger“ als rechtsextreme Verfassungsfeinde

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In den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes und des Landes Sachsen-Anhalt nehmen „Reichsbürger“ und deren diverse Aktivitäten einen gewissen Raum ein. Das war nicht immer so. Jahrelang versicherten das Amt, „Reichsbürger“ seien versponnene Einzelgänger*innen, die die Behörden mit „Paper Terrorism“, also mit pseudo-juristischen Schreiben nervten; die Gefahr die von ihnen ausginge, sei beherrschbar. Dies hat sich gründlich geändert. Netzwerke der „Reichsbürger“ sind zum Kristallisationspunkt von konkreten Anschlags- und Putschplänen herangewachsen, die sich keineswegs darauf beschränken, Anschreiben zu verschicken.

Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt benennt den umtriebigen Peter Fitzek und seine Aktivitäten zu Recht als einen zentralen Akteur der „Reichsbürger“-Szene. Fitzek kauft seit Jahren bundesweit Immobilien für den Aufbau seiner Strukturen. Er bindet eine aus ganz Deutschland stammende Anhängerschaft, die zugleich seine Aktivitäten finanziell ermöglicht. Sein heutiger Erfolg basiert nicht unwesentlich auf dem Umstand, dass die Behörden Fitzek über anderthalb Jahrzehnte hinweg gewähren ließen sowie seine Straftaten nicht konsequent verfolgten und ahndeten. Fitzek verbreitete bereits antisemitische Inhalte, als er noch Inhaber eines Esoterikladens in der Wittenberger Innenstadt war.

Die politisch-ideologische Schnittmenge der „Reichsbürger“ mit dem Rechtsextremismus ist hoch, wenn auch nicht deckungsgleich. Politisch gleichgerichtet ist das in der Szene vorfindliche Streben, an die Stelle der Demokratie einen autoritär verfassten Stände- oder Führerstaat zu setzen, in dem wesentliche Elemente der Gewaltenteilung sowie der Vertrags- und Koalitionsfreiheit außer Kraft gesetzt sind. „Reichsbürger“ teilen zudem die historische Deutung der des Deutschen Reiches in der Geschichte, und es gibt evidente personelle Verknüpfungen in die extreme Rechte. Auch wenn die Szenerie der „Reichsbürger“ sehr heterogen ist, so ist sie doch breit vernetzt in diverse Spektren des Rechtsextremismus.

Eine Erwähnung der „Reichsbürger“ getrennt vom Rechtsextremismus ohne sie zumindest als deren Teilmenge zu beschreiben, erscheint daher aus analytischer Sicht fragwürdig. Ihre gesonderte Aufführung vermittelt den Eindruck, die „Reichsbürger“ agierten in einem variablen politisch-ideologischen Kontext mit einer anti-staatlichen Agenda. Jenseits der Bezugspunkte zum Rechtsextremismus sind ideologische Elemente anderer politischer Strömungen jedoch deutlich unterrepräsentiert.

Die Entscheidung des Verfassungsschutzes, die Reichsbürger nicht als Teilmenge des Rechtsextremismus zu werten, verstellt den Blick auf die Strategie und die Dynamik eines bedeutenden Teils der extremen Rechten, und die Gefahren, die von ihnen ausgehen. Ihre Vielgestaltigkeit und Wandlungsfähigkeit ist gut erforscht und belegt. Die „Reichsbürger“ als ein davon entkoppeltes Phänomen zu beschreiben, wird der im Rechtsextremismus vorfindlichen Dynamik und der steigenden Bereitschaft zum planvollen Vorgehen gegen den Staat nicht gerecht.

Binnen weniger Jahre sind die Reichsbürger zu einer der dynamischsten antidemokratischen Szenerie der extremen Rechten in Deutschland aufgestiegen. Ihre Anziehungskraft bezieht die Szene aus der absoluten Negation des Staates und des Gemeinwesens Bundesrepublik, und dem damit verbundenen Versprechen an die Anhängerschaft, sich wesentlichen staatsbürgerlichen Pflichten entziehen zu können. In einer Zeit, in der Unsicherheit und Krisenbewusstsein um sich greifen, aber auch gezielt von politischen Akteuren der extremen Rechten geschürt werden, müssen „Reichsbürger“ als das erkannt werden, was sie sind: Feinde der Demokratie, die auf ein Momentum des Kontrollverlusts des Staates hoffen oder diesen herbeiführen wollen, um sich selbst exekutive Durchgriffsrechte anzumaßen, die sie mit Macht ausstatten.