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Traditionslinien rechten Terrors

DATUM

Saaleck und das Gedenken an die Mörder Walther Rathenaus

Vor 100 Jahren wurde Walther Rathenau ermordet. Seine Mörder kamen bei der Verhaftung auf Burg Saaleck ums Leben. Nach 1990 wurde die Burg in Sachsen-Anhalt zum Wallfahrtsort rechter Gruppen. Ihr Gedenken an die Attentäter zeigt, dass für die Traditionskonstruktion der extremen Rechten auch der Rechtsterrorismus der Weimarer Republik eine Vorbildrolle spielt. Zugleich zeigen sich damit ideologische Verbindungslinien zum Rechtsterrorismus der Gegenwart, wie er sich im Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke widerspiegelt.

Anschlag auf Walther Rathenau

Am 24. Juni 1922 ermordete eine Gruppe von Rechtsterroristen Walther Rathenau, den damaligen Außenminister der Weimarer Republik. Er wurde in Berlin in seinem offenen Wagen gezielt mit Schüssen aus einem Maschinengewehr sowie zwei Handgranaten getötet. Bereits ein Jahr zuvor hatten Rechtsextreme den ehemaligen Finanzminister und Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger ermordet. Beide waren exponierte Repräsentanten der jungen Republik und die prominentesten Opfer des präfaschistischen Rechtsterrorismus in Deutschland. Ihre Ermordung reiht sich ein in eine lange Serie rechtsterroristischer Gewalttaten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs.

Ausgeübt wurde dieser Terror von nationalistischen und antisemitischen Gruppen, die vor dem Hintergrund der Gewalterfahrungen im Ersten Weltkrieg in rechten Wehrverbänden, Freikorps und in den Strukturen der „Schwarzen Reichswehr“ zu politischer Gewalt sozialisiert wurden. Gemein war ihnen der Hass auf die Weimarer Republik, die als Staat der „Novemberverbrecher“ denunziert wurde – ein Ausdruck ihrer Gegnerschaft zur Revolution im November 1918 und zu deren Ergebnissen.

Rathenau setzte als Reichsaußenminister auf Verständigung und Ausgleich im Europa nach dem Ersten Weltkrieg. Bereits im Kaiserreich war er als Jude und Intellektueller zum Feindbild antisemitischer Propaganda geworden. Nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages denunzierte ihn die antirepublikanische Rechte und deren Presse als „Erfüllungspolitiker“ der alliierten Siegerstaaten, welcher gegen die Interessen Deutschlands agiere.

Kernelement der antirepublikanischen Propaganda war der – ganz in der Traditionslinie der völkisch-nationalistischen Rechten stehende – Antisemitismus. Dieser gipfelte rasch in offene Mordphantasien. In einer weit verbreiteten Umdichtung des bekannten Nikolausliedes hieß es zum Beispiel:

Lasst uns froh und munter sein, schlagt dem Wirth den Schädel ein. / Lustig, lustig trallerallala, / bald ist Wilhelm wieder da! // Wenn einst der Kaiser kommen wird, / schlagen wir zum Krüppel Dr. Wirth [Reichskanzler und Mitglied der Zentrumspartei], / knallen die Gewehre tack, tack, tack / aufs schwarze und das rote Pack. / […] Auch Rathenau, der Walter, / erreicht kein hohes Alter. / Knallt ab den Walther Rathenau, / die gottverfluchte Judensau!

Das politische Klima war also bereits im Vorfeld des Mordanschlages offen feindlich gegen Rathenau und andere exponierten Vertreter der Republik gerichtet.

Walther Rathenaus Mörder, die jungen Weltkriegsoffiziere Erwin Kern und Hermann Fischer, sowie deren Unterstützer rekrutierten sich aus dem Umfeld extrem rechter Freikorps sowie aus der im Geheimen agierenden „Organisation Consul (O.C.)“, einer Fortführung des von Hermann Ehrhardt geführten Freikorps „Marine-Brigade Ehrhardt“ und wichtigstes rechtsterroristisches Netzwerk der Weimarer Republik. Diese paramilitärischen Freikorps verübten als präfaschistische und antirepublikanische Wehrverbände Gewalt gegen Gewerkschafter*innen und politische Gegner*innen aus. Aus diesem rechtsterroristischen Umfeld sollten sich wenig später auch Teile von SA und SS rekrutieren.

Tod der Mörder in Saaleck

Fischer und Kern flüchteten nach ihrer Tat über Umwege nach Saaleck, einem Ortsteil von Bad Kösen nahe Naumburg, wo sie sich der Strafverfolgung zu entziehen suchten. Unterstützt wurde ihre Flucht von Hermann Ehrhardt sowie von Ernst von Salomon, einem Freikorpskämpfer, der später als nationalistischer Schriftsteller bekannt wurde. Letzterer hatte mit einem Gesinnungsgenossen zuvor das unmittelbare Wohnumfeld und die Villa Rathenaus in Berlin-Grunewald auskundschaftet. Ein weiterer Helfer war Hans-Wilhelm Stein, damaliger Pächter der Burg Saaleck. Während er die Flüchtenden bei sich versteckte, beschaffte er ihnen mit Unterstützung der „O.C.“ Geld, falsche Pässe und Waffen.

Am 17. Juli 1922 wurden Fischer und Kern jedoch nach intensiver Fahndung auf der Burg Saaleck entdeckt. Beim Versuch sie festzunehmen, traf ein Polizeibeamter Erwin Kern mit einem abgegebenen Schuss tödlich in den Kopf. Hermann Fischer erschoss sich daraufhin selbst. Beide wurden auf dem Friedhof unterhalb der Burg beerdigt. Im Jahr 1933 errichten die Nazis ihnen zu Ehren ein Gedenkstein und machten sie zum Gegenstand nationalsozialistischer Heldenverehrung. Bis heute sind sie Teil des historisch-politischen Gedächtnisses der extremen Rechten unterschiedlicher Spektren.

Gedenkort für Neonazis

Nach 1945 löschte man die Inschrift des Gedenksteins und die Insignien des Nationalsozialismus. Der Stein selbst jedoch wurde auf dem Friedhof belassen. Seit den 1990er Jahren finden wiederkehrend Mitte Juli in Saaleck von Neonazis organisierte Gedenkaktivitäten zu Ehren der Rathenau-Mörder statt. So treffen sich Szene-Angehörige aus der näheren Umgebung sowie aus Sachsen und Thüringen, um auf dem Friedhof mit Kränzen und Trauergebinden an die Mörder zu erinnern.

Um dem Ort seinen Wallfahrt-Charakter für die rechte Szene zu nehmen, ließ die Kirchengemeinde Saaleck im Jahr 2000 den Gedenkstein entfernen. Seitdem haben Neonazis mehrmals versucht, eine neue Gedenkstätte zu etablieren: 2012 stellten sie auf der ehemaligen Grabstätte einen Ersatz-Gedenkstein für die Rechtsterroristen auf. 2018 errichteten sie ein beschriftetes Holzkreuz. Nachdem mit Hilfe des Hausrechts und der Polizei mehrere Jahre Gedenkveranstaltungen auf dem Friedhof unterbunden werden konnten, gelang es Neonazis zuletzt wieder, ihre Ehrung der Rathenau-Mörder direkt am ehemaligen Grab abzuhalten.

Seit mindestens 2012 führt die Neonazi-Szene zudem Gedenkveranstaltungen zu Ehren von Fischer und Kern in der Gaststätte „Burgblick“ nahe dem Friedhof durch. Die Gaststätte wird regelmäßig auch für andere neonazistische Szene-Treffen und Veranstaltungen genutzt. Federführend bei diesen Versammlungen ist die NPD, aber auch parteilose Neonazis und in jüngerer Zeit Anhänger*innen der rechtsextremen Kleinstpartei „Der III. Weg“ aus der Region zählen zu den Teilnehmenden. Auch unabhängig vom Todestag der Rathenau-Mörder sind Saaleck und die Rudelsburg als Ausflugsziel in der extremen Rechten beliebt.

Nicht nur für dezidierte Neonazis gehört Saaleck zum politisch-kulturellen Traditionsbestand. Im Jahr 2000 versuchte die neurechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ die Entfernung des NS-Steins zu skandalisieren. In einem Artikel nannte sie zwar die Tat verbrecherisch, lobte aber die „patriotischen Motive“ der Mörder als ehrenwert. Der neurechte Verleger Götz Kubitschek aus Schnellroda im Saalekreis veröffentlichte 2012 auf der Internetseite seiner Zeitschrift „Sezession“ einen undatierten und ohne Quellenangabe versehenen Gastbeitrag des damaligen Pächters von Burg Saaleck, des Fluchthelfers Hans-Wilhelm Stein. Dieser machte in dem Artikel Werbung für den am Mordkomplott gegen Walther Rathenau beteiligten Ernst von Salomon und dessen Werk. Bebildert war der Beitrag mit einem Foto des Gedenksteins in Saaleck, den örtliche Neonazis in jenem Jahr als Ersatz für das im Jahr 2000 entfernte Grab aufgestellt hatten.

Rechter Terror

Mit den Gedenkversammlungen in Saaleck stellen sich heutige Rechtsextreme bewusst in die Tradition der antirepublikanischen Rechten der Weimarer Republik. Sie praktizieren damit eine positive Bezugnahme auf deren politischen Terror, in deren Tradition sich auch die Herrschaftspraxis des Nationalsozialismus einordnet. Die Zusammenkünfte zum Gedenken an Fischer und Kern dienen den Teilnehmer*innen der Bestärkung ihrer demokratiefeindlichen Gesinnung und spiegeln ihr positives Verhältnis zu politischer Gewalt wider.

Auch heute noch ist die Gesellschaft in der Bundesrepublik mit rechtem Terror konfrontiert. Die terroristische Gefahr der Gegenwart geht jedoch nicht von größeren paramilitärischen Verbänden oder Geheimorganisationen aus, sondern vielmehr von einer Vielzahl an Akteuren. Mögliche Terrorzellen wie der „NSU“, „Lone-Wolf-Attentäter“ wie die Mörder von Halle und Hanau, militante Prepper oder Neonazi-Strukturen mit Kampfausbildung stehen längst in Fundamental-Opposition zur bundesrepublikanischen Demokratie. Sie werden getragen von einem breiten rechten und demokratiefeindlich eingestellten Milieu, das offen zu Gewalt an Politiker*innen aufruft und Feind*innen markiert. Das Gedenken an die Mörder von Walther Rathenau ist für die extreme Rechte mehr als Traditionssuche und Geschichtsromantik. In Zeiten fundamentaler politischer Unzufriedenheit und zunehmender Radikalisierungen bietet der 100. Todestag der Rechtsterroristen ein Identifikationsmoment. Die Täter von damals sind auch heute ein unheilvolles Vorbild für kompromissloses politisches Handeln.

Das Andenken an Walter Rathenau muss in das historisch-kulturelle Gedächtnis der demokratischen und antifaschistischen Öffentlichkeit zum Thema Rechtsterror eingeschlossen werden. Das Beispiel Rathenau und die antidemokratischen, antisemitischen und völkischen Motive seiner Ermordung zeigen, dass sich rechter Terror und politischer Mord damals wie heute aus den gleichen ideologischen Quellen speist.

Literatur

  • Klaus Gietinger und Norbert Kozicki: Freikorps und Faschismus. Lexikon der Wegbereiter und Exponenten des Vernichtungskrieges, Stuttgart 2020.
  • Markus J. Klein: Ernst von Salomon. Revolutionär ohne Utopie, Aschau 2002.
  • Erwin Könnemann: Einwohnerwehren und Zeitfreiwillige, Berlin (Ost) 1971.
  • Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution, Frankfurt a. M. 1999.
  • Ernst von Salomon: Die Geächteten, Gütersloh 1930.